Newsletter Hamburger Expertenkreis – Ausgabe 2-2021

Antibiotikatherapie:

Mehr Mikrobiomschutz, weniger Multiresistenzen?

Neue Strategien gegen Infektionen mit multiresistenten Bakterien setzen auf den Schutz der Mikrobiota und die Stärkung der Kolonisationsresistenz. Wie sie funktionieren und warum sie Erfolg versprechend sind, erklärt Prof. Dr. med. Maria J. G. T. Vehreschild, Universitätsklinikum Frankfurt.

Der häufige Einsatz von Antibiotika ist eine Hauptursache für Infektionen mit multiresistenten Bakterien. Neueren Erkenntnissen zufolge spielen Störungen des Mikrobioms dabei eine zentrale Rolle. Heute geht man davon aus, dass die Mikrobiota geringe Konzentrationen potenziell pathogener Erreger beherbergt,
darunter auch multiresistente Bakterien, die z. B. im Krankenhaus, über die Nahrung oder die Umwelt in den Organismus gelangen. Eine intakte Mikrobiota hält diese Erreger mit den ausgeklügelten Mechanismen der Kolonisationsresistenz in Schach, sodass sie keine Probleme verursachen. Unter dem Einfluss
einer Antibiotikatherapie verändert sich die Mikrobiota jedoch dysbiotisch – mit einer reduzierten Diversität, dem Verlust von Schlüsseltaxa und einem veränderten Metabolom. Diese Störungen schwächen die Kolonisationsresistenz und ermöglichen den vorhandenen multiresistenten Bakterien, Nischen
in der Mikrobiota zu erobern, zu expandieren und schließlich zu dominieren. Kommt es in einer solchen Situation zusätzlich zu einer Schädigung der Darmbarriere, etwa durch eine Chemotherapie oder Operation, kann eine Blutstrominfektion entstehen.1

Keine Empfehlung für Antibiotika

Wie lassen sich solche Infektionen verhindern? Die klassische Strategie zur Dekolonisierung multiresistenter Bakterien bestand in der oralen Gabe nicht absorbierbarer Antibiotika. Davon rät die Europäische Gesellschaft für klinische Mikrobiologie und Infektionskrankheiten (ESCMID) in ihrer aktuellen Leitlinie
jedoch ab – sofern es sich um gramnegative multiresistente Bakterien und nicht um MRSA handelt. Die Ergebnisse der dazu vorliegenden Studien waren nicht überzeugend: Die Antibiotika reduzieren zwar die Dichte multiresistenter Bakterien im Kolon, diese vermehren sich nach dem Absetzen jedoch wieder und werden zunehmend resistent.2

Abzuraten ist auch von der Praxis, nach einer Antibiotikatherapie ein Probiotikum zu verschreiben, damit sich die gestörte Mikrobiota schneller erholt. Dies ist kontraproduktiv, wie eine Studie mit 21 Probanden aus Israel zeigt: Nach einwöchiger Antibiotikatherapie siedelten sich die probiotischen Bakterien zwar im Darm an, blockierten aber die Regeneration der Ursprungs-Mikrobiota über Monate. Ohne weitere Maßnahmen erholte sich die Mikrobiota deutlich schneller.3

Speziesspezifische Strategien

Alternative Strategien zur Prävention von Infektionen mit multiresistenten Erregern beziehen das Mikrobiom mit ein. Ein Beispiel ist die Entwicklung speziesspezifi scher Probiotika. Einen potenziellen Kandidaten identifizierten Forscher der Universität Tübingen in der nasalen Mikrobiota: Das kommensale
Bakterium Staphylococcus lugdunensis produziert eine antibiotisch wirksame Substanz, Lugdunin genannt, die das Wachstum von Staphylococcus aureus in der Nase hemmt und auch dessen multiresistente Stämme (MRSA) abtötet. Es wäre denkbar, Lugdunin-produzierende Bakterien in der Nase von Risikopatienten anzusiedeln, um die Kolonisationsresistenz gegen Staphylococcus aureus zu erhöhen.4,5 Allerdings kann Staphylococcus lugdunensis selbst Infektionen verursachen und ist daher vermutlich noch nicht der ideale Kandidat für ein Präzisions-Probiotikum gegen MRSA-Infektionen. In Entwicklung sind auch speziesspezifische Antibiotika, die sich gezielt gegen einzelne Pathogene richten, die physiologische Mikrobiota aber verschonen. Ein spannender Kandidat ist der Wirkstoff Ridinilazol, der Clostridioides-difficile-Stämme selektiv abtötet. Derzeit wird er einer klinischen Phase-2-Studie an Patienten mit Clostridioides-difficile-Infektionen (CDI) getestet – mit guten Ergebnissen: Während die zehntägige Standardtherapie mit Vancomycin zu massiven und anhaltenden Störungen der Darmmikrobiota führte, waren nach der Behandlung mit Ridinilazol kaum Veränderungen nachweisbar. Damit sinkt auch das Rezidivrisiko, denn eine intakte Mikrobiota hält das Wachstum von Clostridioides diffi cile in Schach.6

Mikrobiotaschutz mit Aktivkohle

Eine weitere Option zur Minimierung der Kollateralschäden einer Antibiotikatherapie sind Medikamente mit Mikrobiotaschutz. In klinischer Erprobung ist derzeit der Wirkstoff DAV132, eine neutralisierende Aktivkohle. Er absorbiert Antibiotikaresiduen im Kolon, die zur Selektion multiresistenter Erreger beitragen. Studien an gesunden Probanden ergaben: Wird DAV132 zusammen mit einem Antibiotikum eingenommen, entfaltet das Antibiotikum die erwünschte Wirkung und gleichzeitig bleibt die Vielfalt der Mikrobiota erhalten.7 Nach einem ähnlichen Prinzip funktioniert der Wirkstoff Ribaxamase:
Dabei handelt es sich um eine Beta-Laktamase zur oralen Einnahme. Sie schützt die Mikrobiota, indem sie in den Darm sezernierte Beta-Laktam-Antibiotikaresiduen inaktiviert.8 Sowohl für DAV132 als auch für Ribaxamase sind klinische Phase-3-Studien in Vorbereitung.

Ebenfalls im Fokus der Forschung steht der fäkale Mikrobiota-Transfer (FMT). Er ist die beste Therapie bei rezidivierenden Clostridioides-difficile-Infektionen, kann offenbar aber auch multiresistente Bakterien aus der Mikrobiota verdrängen. So wurde in einer Studie bei Patienten in den Wochen nach einem FMT beobachtet, dass eine Dekolonisierung Vancomycin-resistenter Enterokokken erfolgte. Ob ein FMT denselben Effekt auf gramnegative multiresistente Bakterien hat, lässt sich noch nicht abschließend bewerten.9

Fazit für die Praxis

Innovative mikrobiombasierte Strategien zur Prävention von Infektionen mit multiresistenten Bakterien sind in Entwicklung, stehen aber noch nicht zur
Verfügung. Die wirksamste Maßnahme, die Ärzte bereits heute umsetzen können, ist das antimikrobielle Stewardship: Die Implementierung einer umsichtigen, kontrollierten und angemessenen Anwendung von Antiinfektiva ermöglicht bessere Behandlungsergebnisse, minimiert die Resistenzentwicklung und reduziert Kosten.10

Prof. Dr. med. Maria J. G. T. Vehreschild

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Literatur:
1 Khodamoradi Y et al. Dtsch Arztebl Int. 2019; 116(40): 670-676.
2 Tacconelli E et al. Clin Microbiol Infect. 2019; 25(7):807-817.
3 Suez J et al. Cell. 2018; 174(6):1406-1423.e16.
4 Zipperer A et al. Nature. 2016; 535(7613):511-6.
5 Laux C et al. Microbiol Spectr. 2019; 7(2).
6 Taur Y et al. Nature Medicine. 2014; 20:246-7.
7 De Gunzburg J et al. J Infect Dis. 2018; 217(4):628-636.
8 Kokai-Kun JF et al. Antimicrob Agents Chemother. 2017; 61(3):e02197-16.
9 Dubberke ER et al. Open Forum Infect Dis. 2016; 3(3):ofw133.
10 Kuijper EJ, Vendrik KEW, Vehreschild MJGT. Clin Microbiol Infect. 2019; Apr 6.

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