Bakterielle Infektionen: Mikrobiotabasierte Strategien zur Prävention und Therapie

Newsletter Hamburger Expertenkreis – Ausgabe 2-2022

Angesichts des globalen Problems der Antibiotikaresistenzen sind neue Strategien zur Infektionsbekämpfung gefragt. Einen Überblick gibt Prof. Dr. med. Maria Vehreschild, Universitätsklinikum Frankfurt.

Antibiotikaresistenzen verursachen Millionen Todesfälle weltweit. Bedrohlich sind vor allem Infektionen, die durch gramnegative multiresistente Bakterien ausgelöst werden.1 Anders als lange angenommen, dringen sie nicht von außen in den Körper ein und vermehren sich dort explosionsartig. Die Infektion verläuft eher schleichend und geht von einer Mikrobiota aus, die in geringer Dichte immer auch potenzielle Pathogene beherbergt, darunter multiresistente Bakterien. Sie gelangen aus der Umwelt, der Nahrung oder z. B. im Krankenhaus in den Körper, werden normalerweise aber von der Mikrobiota in Schach gehalten. Bei einer Antibiotikaexposition ändert sich das. Diese führt zur Dysbiose und schwächt die Kolonisationsresistenz, sodass die Pathogene Nischen in der Mikrobiota erobern können, expandieren und schließlich dominieren.2

Probiotikastämme: im Team effektiver als solo

Um die Kolonisationsresistenz nach einer Antibiotikatherapie zu stärken, verschreiben Ärztinnen und Ärzte häufig Probiotika. Das ist jedoch kontraproduktiv, wie eine israelische Studie zeigt. Sie hat untersucht, welche Maßnahmen helfen, die Mikrobiota nach einer Antibiotikatherapie wieder aufzubauen. Am schnellsten erholte sie sich mit einem autologen Stuhltransfer, die Probanden erhielten also vor der Therapie gewonnenen Eigenstuhl. Am zweitbesten schnitt die Gruppe ab, bei der keinerlei Maßnahmen ergriffen wurden. Am längsten, das heißt über Monate, dauerte der Wiederaufbau der Mikrobiota in der Probiotikagruppe. Die Probiotika siedelten sich zwar im Darm an, erschwerten dadurch aber die Regeneration des Ursprungsmikrobioms.3 Das schlechte Ergebnis erklärt sich möglicherweise dadurch, dass probiotische Stämme in älteren Präparaten nicht oder ungünstig kombiniert wurden. Inzwischen werden probiotische Bakterien eher innerhalb ihres Ökosystems genutzt. Mit Erfolg: Im Mausmodell gelang es kooperierenden Kommensalen, einen mit Vancomycinresistenten Enterokokken (VRE) besiedelten Darm zu dekolonisieren.4 Ein gutes Team sind auch Escherichia coli und Lachnospiraceae. E. coli verhindert die Kolonisierung von S. Typhimurium, indem es den Zuckeralkohol Galactitol abbaut, den das Pathogen zum Überleben braucht. Ergänzend konsumieren Lachnospiraceae freie Zucker, die Salmonellen ebenfalls benötigen. Beide Kommensalen entziehen den Salmonellen also die Nahrungsgrundlage, indem sie Zucker verbrauchen.5

Neue Wirkstoffe limitieren Kollateralschäden

Ein anderer Ansatz sind Speziesspezifische Antibiotika, die keine Kollateralschäden an der Mikrobiota verursachen. Eine intakte Mikrobiota spielt z.B. bei der Abwehr einer Clostridioides-difficile-Infektion (CDI) eine zentrale Rolle. Clostridioides werden durch sekundäre Gallensäuren gehemmt, die die physiologische Mikrobiota aus primären Gallensäuren synthetisiert. Fehlen sie, weil ein Breitbandantibiotikum wie Vancomycin die Mikrobiota ausdünnt, können sich Clostridioides vermehren. Beispiele für Antibiotika mit schmalem Wirkspektrum sind Fidaxomicin und Ridinilazol. Insbesondere Ridinilazol tötet selektiv Clostridioides-difficile-Stämme ab, lässt die Mikrobiota aber weitgehend unverändert. In einer zehntägigen Studie mit 100 CDI-Patientinnen und Patienten stieg unter Ridinilazol die Konzentration der sekundären Gallensäuren an. Das heißt, die Mikrobiota erholte sich trotz laufender Therapie und konnte die Aktivität von Clostridioides difficile hemmen.6,7 Ein weiteres Schmalspektrum-Antibiotikum ist Temocillin. Es wirkt hauptsächlich gegen gramnegative Bakterien und schont die Anaerobier, die für eine effektive Kolonisationsresistenz sorgen. Dass es funktioniert, zeigt eine Studie mit 188 Patientinnen und Patienten mit schwerer nosokomialer Pneumonie: Die herkömmliche Therapie mit Piperacilin/Tazobactam löste bei 34 % Diarrhoe aus, versus 4 % unter Temocillin/Amoxicillin.8,9 Vielversprechend sind außerdem Medikamente mit Mikrobiotaschutz. Derzeit sind zwei Produkte in Entwicklung: DAV132 ist eine speziell ummantelte Aktivkohle. Sie wird im terminalen Ileum freigesetzt und neutralisiert im Kolon Antibiotikaresiduen, die zur Selektion multiresistenter Erreger beitragen. Wird das Präparat zusammen mit einem Antibiotikum eingenommen, tötet es wie erwünscht die Pathogene ab, lässt die Mikrobiota aber intakt. Derzeit wird das Präparat in einer Phase-3-Studie getestet.10 Ähnlich funktioniert der Wirkstoff Ribaxamase, eine β-Lactamase zur oralen Einnahme, die in den Darm sezernierte β-Laktam-Antibiotikaresiduen inaktiviert. Auch für Ribaxamase sind Phase-3-Studien in Vorbereitung.11

Dekolonisierung mit FMT und CRISPR/Cas

Strategien zur Dekolonisierung multiresistenter gramnegativer Bakterien hat die Europäische Gesellschaft für Klinische Mikrobiologie (ESC-MID) in ihrer aktuellen Leitlinie bewertet. Sie rät vom Einsatz oraler, nicht absorbierbarer Antibiotika ab. Dafür gibt es keine Evidenz; eine Metaanalyse der dazu vorliegenden Studien war nicht überzeugend.12 Möglicherweise hat auch ein fäkaler Mikrobiota-Transfer (FMT) Potenzial zur Dekolonisierung. Bei einigen CDI-Patientinnen und -Patienten wurde nach einem FMT beobachtet, dass nicht nur Clostridioides difficile , sondern auch VRE aus der Mikrobiota verdrängt wurden.13 Ein vielversprechender Ansatz ist außerdem die Nutzung von CRISPR/Cas9-Systemen, die so programmiert sind, dass sie antibiotikaresistente Bakterien präzise eliminieren. In einer aktuellen Arbeit wurde ein effizientes Vehikel gefunden, um Plasmide in einen antibiotikaresistenten E. coli zu transferieren, die diesen mit einer einzigen Dosis zu 99,9 % eliminiert haben.14

Fazit für die Praxis

Der häufige Einsatz von Antibiotika schwächt die Kolonisationsresistenz der Mikrobiota und führt zur Selektion multiresistenter Erreger. Um dem entgegenzuwirken, ist der aktuell wichtigste Hebel das antimikrobielle Stewardship (AMS), also die rationale Verschreibung von Antibiotika, sowohl was die Indikation als auch die Verschreibungsdauer angeht. Neue Strategien setzten auf eine gezielte Eliminierung von Pathogenen, ohne die Mikrobiota zu schädigen. Vielversprechend sind Speziesspezifische Antibiotika, neue Probiotika, FMT und CRISPR/Cas9-Methoden.

Prof. Dr. med. Maria Vehreschild

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Literatur:

1 Tacconelli E et al. Lancet Infect Dis. 2018; 18(3): 318 – 27.
2
Vehreschild M et al. UNI-MED Verlag
3
Suez J et al. Cell. 2018; 174(6): 1406 – 23.e16.
4
Caballero S et al. Cell Host Microbe. 2017; 21(5): 592 – 602.
5
Eberl C et al. Cell Host Microbe. 2021; 29(11): 1680 – 92.e7.
6
Taur Y et al. Nature Medicine. 2014; 20: 246 – 7.
7
Vickers RJ et al. Lancet Infect Dis. 2017; 17(7): 735 – 44.
8
Mittermayer HW. Drugs. 1985; 29(Suppl 5): 43 – 8.
9
Habayeb H et al. Eur J Clin Microbiol Infect Dis. 2015; 34(8):1693 – 9.
10
De Gunzburg J et al. J Infect Dis. 2018; 217(4): 628 – 36.
11
Kokai-Kun JF et al. Antimicrob Agents Chemother. 2017; 61(3).
12
Dimitriou V et al. J Antimicrob Chemother. 2019; 74(7): 2065 – 74.
13
Dubberke ER et al. Open Forum Infect Dis. 2016; 3(3): ofw133.
14
Neil K et al. Mol Syst Biol. 2021; 17: e10335

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