CED-Therapien der Zukunft: Mikrobiombasiert, personalisiert, Big Data

Newsletter Hamburger Expertenkreis – Ausgabe 3-2021

CED-Therapien der Zukunft:
Mikrobiombasiert, personalisiert, Big Data

Prof. Dr. med. Eran Elinav entwickelt richtungsweisende Therapiekonzepte für Mikrobiom-assoziierte Erkrankungen. Er leitet die Forschungszentren für Mikrobiom und Wirt-Pathogen-Interaktionen am Weizmann Institute of Science, Israel, und die Abteilung Mikrobiom und Krebs am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg.

Das Mikrobiom ist mit überzeugender Evidenz an der Pathogenese chronischentzündlicher Darmerkrankungen (CED) beteiligt. Bis dato ist es aber nicht gelungen, reproduzierbare CED-typische mikrobielle Signaturen zu identifizieren oder effektive Therapien zu entwickeln, die das Mikrobiom adressieren.

Die drei heute hauptsächlich angewandten Mikrobiomtherapien haben alle Schwächen: Der Einsatz von Prä- und Probiotika bei verschiedensten Indikationen ist oft nicht ausreichend evidenzbasiert. Der fäkale Mikrobiota- Transfer ist bei rekurrenten Clostridioides-difficile-Infektionen hoch wirksam, stößt bei komplexeren Mikrobiom-assoziierten Krankheiten wie CED aber an seine Grenzen. Zudem folgen alle drei Ansätze dem Prinzip „one size fits all“ und lassen individuelle Reaktionen außer Acht.

Personalisierte Ernährung

Arbeitsgruppen weltweit arbeiten deshalb an effektiveren Therapieansätzen, die das Mikrobiom einbeziehen. Ein Beispiel sind personalisierte Ernährungsempfehlungen, die bei metabolischen Krankheiten wie Typ-2- Diabetes Potenzial haben, aber auch bei CED. 2015 zeigte eine Studie des Weizmann-Instituts, dass die Blutzuckerreaktion auf identische Lebensmittel individuell sehr unterschiedlich ausfällt.1 Die Forschenden erhoben für jeden der 800 Probanden große Mengen an Mikrobiom- und anderen Gesundheitsdaten und generierten damit Machine-Learning-Algorithmen, die individuelle Reaktionen auf Lebensmittel vorhersagen. Im Real-Life-Test lag der Algorithmus bei der Prädiktion der glykämischen Reaktion fast doppelt so oft richtig wie die Standard-Empfehlungen, die auf der Kohlenhydratmenge einer Mahlzeit beruhen. Auch in einer Folgestudie mit 200 Diabetespatienten schnitten Algorithmus-basierte, personalisierte Speisepläne gut ab: Im Verlauf eines Jahres sanken die HbA1c-Werte und erhöhte Blutzuckerwerte traten seltener auf. Die Ergebnisse waren besser und nachhaltiger als in der Standardtherapie-Gruppe, die Ernährungsrichtlinien befolgte.2

Die innere Uhr des Mikrobioms

Von den im Algorithmus verarbeiteten Daten spielten die Mikrobiomdaten eine zentrale Rolle für den Prädiktionserfolg. Das Mikrobiom wiederum wird wesentlich durch die Ernährung geprägt. In welcher Weise, hängt von der Zusammensetzung, aber auch vom Timing der Mahlzeiten ab. Darmbakterien haben einen eigenen Tag-Nacht-Rhythmus, der dem des Menschen angepasst ist. Wichtigster Taktgeber sind die Zeitpunkte der Nahrungsaufnahme, sie bewirken tageszeitliche Schwankungen der Zusammensetzung und Aktivitäten der Mikrobiota. Ein verändertes Timing störte bei Mäusen und Menschen den natürlichen Rhythmus der Darmbakterien und induzierte eine Dysbiose, die Glucoseintoleranz und Übergewicht nach sich zog. Das könnte erklären, warum ein verschobener Tag-Nacht-Rhythmus z. B. bei Schichtarbeitern das Risiko für Adipositas und Typ-2-Diabetes erhöht.3,4

Das Mahlzeitentiming beeinflusst auch die Immunhomöostase. Das belegt eine Mausstudie, die auch im Dünndarm-Mikrobiom eine tageszeitliche Rhythmik der Mikrobiota- Zusammensetzung entdeckt hat. Davon hing der Crosstalk zwischen Epithelzellen und intraepithelialen Lymphozyten ab, der wiederum die Funktion der Darmbarriere reguliert. Diese Regulation kam durch veränderte Schlaf-Wach-Rhythmen, andere Fütterungszeiten oder Diäten aus der Balance: Die Zusammensetzung der Kommensalen veränderte sich derart, dass die Darmbarriere geschwächt wurde. Es kam zum extensiven Einstrom bakterieller Produkte, die eine Morbus- Crohn-ähnliche Enteritis induzierten.5

Der Zusammenhang zwischen Morbus Crohn, Mikrobiom und Ernährung wird zurzeit im Rahmen der Beobachtungstudie Nutri-IBD untersucht.6 150 Kinder und Jugendliche mit Morbus Crohn, 100 mit einer anderen gastroenterologischen Erkrankung und 50 gesunde Kontrollen dokumentieren ein Jahr lang täglich ihre Ernährung, körperliche Aktivität und Medikation in einer Smartphone-App, gleichzeitig werden u. a. Stuhlproben gesammelt, Krankheitssymptome erfasst und Entzündungsmarker wie Calprotectin im Blut gemessen. Dieses Datenset fließt in einen Machine-Learning-Algorithmus, der individuell vorhersagen soll, wie sich die Ernährung auf den Schweregrad und die Inflammation im Darm auswirkt.

Phagencocktails eliminieren Krankheitstreiber

Ein anderes Therapiekonzept ist die Nutzung von Bakteriophagen, die hochspezifisch ein enges Spektrum bestimmter Bakterienspezies infizieren und zerstören. Forschende des Weizmann-Instituts erstellen derzeit eine Datenbank mit Phagen, die sich gegen CED-assoziierte Bakterien in der Mikrobiota richten. Aus diesem Pool komponieren sie Cocktails mit Phagen, die alle dasselbe Bakterium töten, dabei aber unterschiedliche Mechanismen einsetzen. So wird verhindert, dass die Zielbakterien Resistenzen entwickeln.

Eine spezielle Klade des Bakteriums Klebsiella pneumonia ist z. B. mit der Prävalenz und dem Auftreten von Krankheitsschüben bei Morbus-Crohn-Patienten assoziiert. Ein gegen diese Klade gerichteter Phagencocktail wird derzeit in einer klinischen Phase-1-Studie bei gesunden Personen getestet.

Die Darmbarriere stabilisieren

Eine denkbare Therapiestrategie ist auch die Stärkung der Darmbarriere: Sie ist bei CED und vielen anderen Mikrobiom-assoziierten Erkrankungen gestört. Mithilfe eines Hochdurchsatz- Screeningsystems identifizierten Forschende des Weizmann-Instituts zahlreiche Moleküle wie Zytokine, Metaboliten oder Medikamente, die die Darmbarriere modulieren. Manche Substanzen zerschnitten die epithelialen Tight Junctions, andere machten diese Veränderungen rückgängig und stabilisierten die Funktion der Darmbarriere wieder. Diese Stabilisatoren könnte man zur Therapie von Barrierestörungen bei CED und anderen entzündlichen Erkrankungen nutzen oder zur Prävention von Entzündungen einsetzen.7

Fazit für die Praxis

Therapien für Mikrobiom-assoziierte Krankheiten wie CED werden das individuelle Mikrobiom künftig miteinbeziehen. Vielversprechende Ansätze sind datengestützte, personalisierte Ernährungsempfehlungen, der Einsatz von Phagencocktails und die Nutzung des Metaboloms zur Stabilisierung der Darmbarriere.

Prof. Dr. med. Eran Elinav

Zum Download

Aktuelle Ausgabe des Newsletters Hamburger Expertenkreis

Die Print-Ausgabe erhalten Sie von Ihrem persönlichen FERRING-Ansprechpartner

» Jetzt anfragen «

*BfArM: Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte

Literatur:
1 Zeevi D et al. Cell. 2015; 163(5): 1079-1094.
2 Ben Yacov L et al. under revision.
3 Thaiss CA et al. Cell. 2014; 159 (3): 514-529.
4 Thaiss CA et al. Cell. 2016; 167(6): 1495-1510.e12.
5 Tubangaev T et al. Cell. 2020; 182(6): 1441-1459.e21.
6 https://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT04283864?term=NCT+04283864&draw=2&rank=1.
7 Grosheva I et al. Gastroenterology. 2020; 159(3): 459-700.

Aktuelle Themen

COVID-19: Welche Rolle spielt das Mikrobiom?

Die Mikrobiota prägt eine Subgruppe von T-Zellen, die bei CED-Patienten Entzündungen im Darm auslösen. Könnte sie genutzt werden, um Schübe zu verhindern? Hintergründe und Perspektiven erklärt PD Dr. med. Sebastian Zundler, Universitätsklinikum Erlangen.

FERRING steht für weit mehr als Medikamente – innovative Therapieansätze, Value-based Healthcare und wirkungsvolle Therapiekonzepte bestimmen unser Forschen und tägliches Handeln.

Haben Sie Fragen?

Schreiben Sie uns einfach oder rufen Sie uns an.

Nach oben