Newsletter Hamburger Expertenkreis – Ausgabe 4-2021
Mikrobiomsignaturen:
Der weite Weg bis zur klinischen Relevanz
Die diagnostische und therapeutische Nutzung von Mikrobiomsignaturen steht noch am Anfang. Bei Morbus Crohn zeichnen sich jedoch erste Erfolge ab. Über den Stand der Forschung berichtet Prof. Dr. rer. nat. Dirk Haller, Technische Universität München.
Von chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen bis Typ-2-Diabetes: Viele Erkrankungen korrelieren mit einer veränderten Zusammensetzung des Mikrobioms, die Mechanismen sind aber meist ungeklärt. Bereits die Identifizierung krankheitsspezifischer Mikrobiomsignaturen ist schwierig, wie eine Metaanalyse mit mehr als 4.500 Menschen zeigt, darunter Patienten mit CED und Typ-2-Diabetes. Mikrobiomanalysen auf Phylaebene ergaben keine eindeutigen Muster. Ob ein Mensch gesund oder krank ist, eine Stoffwechsel- oder entzündliche Erkrankung hat, war daraus nicht ablesbar.1 Analysen auf Stammesebene zeigten dagegen eine hohe individuelle Variabilität, die krankheitsassoziierte Mikrobiomsignaturen vermutlich maskiert.
Fokus auf den Schwefelstoffwechsel
Trotz dieser Variabilität gelang es Forschenden der Technischen Universität München, typische Signaturen bei Morbus Crohn zu identifizieren.2 Dazu untersuchten sie die Mikrobiome einer Kohorte mit therapierefraktären Patienten vor und nach einer autologen Stammzelltherapie. Über einen Zeitraum von fünf Jahren verglichen sie Non-Responder und Responder mit langfristiger Remission bzw. Responder, die im Lauf der Zeit ein Rezidiv erlitten. Ziel war herauszufinden, wie sich Veränderungen im Mikrobiom auf den Krankheitsverlauf und Therapieerfolg auswirken.
Das Forscherteam identifizierte gemeinsame funktionelle Signaturen, die mit der Krankheitsaktivität korrelierten, also eine Unterscheidung von aktiven und inaktiven Phasen ermöglichten. Ein FMT der Stuhlproben in gnotobiotische Mäuse spiegelte das wider: Das Mikrobiom von Patienten in Remission induzierte kaum Entzündung; das von Patienten mit aktivem Morbus Crohn schon. Unter Einsatz von Hochdurchsatztechnologien und Modellierungen wurden die Datensätze von Patienten und Mäusen integriert. Dabei kristallisierten sich abhängig vom Krankheitsstadium spezifische Netzwerke korrespondierender Bakterien und Metaboliten heraus. In aktiven Phasen waren z. B. schwefelhaltige Verbindungen und sulfatreduzierende Spezies namens Desulfovibrio stark angereichert.
Gestörter Stoffwechsel in der Stammzellnische
Morbus Crohn wird aber nicht nur durch Pathobionten in der Mikrobiota geprägt. Die komplexe Erkrankung ist mit mehr als 250 Risikogenen assoziiert, die wiederum von Interaktionen zwischen Mikrobiota und Darmepithel beeinflusst werden. Welche Rolle der Stoffwechselzustand der Epithelzellen dabei spielt, untersuchte eine weitere Studie unter Federführung der Technischen Universität München.3
Dabei standen intestinale Stammzellen und die sie umgebenden Paneth-Zellen im Fokus; beide Zelltypen sind für die Aufrechterhaltung der Darmbarriere unerlässlich. Patienten mit Morbus Crohn haben weniger und in ihrer Funktion eingeschränkte Paneth-Zellen. Das beeinträchtigt auch die Stammzellen und Mitochondrien, die den Stoffwechsel in der Stammzellnische kontrollieren.
Experimente mit Morbus-Crohn-Mausmodellen zeigten, dass die Paneth-Zellen im Kryptenboden im entzündeten Zustand massiv zurückgehen. Die Forschenden behandelten Organoidkulturen aus diesen Mausmodellen mit der Substanz Dichloracetat, die einen Anstieg der mitochondrialen Atmung induziert. Dadurch erholten sich die Paneth-Zellen und wurden wieder vital.
Der Zustand der Paneth- und Stammzellen wurde auch in reseziertem Darmgewebe einer Kohorte von 35 Morbus-Crohn-Patienten sowie an den Schnitträndern des verbliebenen Darms sechs Monate nach der Resektion untersucht. Dabei stellte das Forscherteam fest, dass ein verminderter Granulagehalt der Paneth-Zellen, veränderte Stammzellen und eine geringere Stammzelldichte mit dem Rezidivrisiko assoziiert war. Die Phänotypen der Paneth- und Stammzellen könnten in dieser Patientengruppe als Prädiktor für ein Rezidiv dienen, so die Schlussfolgerung. Zudem bietet die gezielte Verbesserung des Stoffwechsels von Paneth- und Stammzellen mit Dichloracetat einen neuen Therapieansatz, um Remissionsphasen bei Patienten mit Morbus Crohn zu verlängern.
Fazit für die Praxis
Die Erforschung von Mikrobiomsignaturen bei Morbus-Crohn-Patienten bietet Chancen für die Diagnostik und Therapie. Bis sie klinisch genutzt werden können, wird es aber noch einige Zeit dauern.
Prof. Dr. rer. nat. Dirk Haller
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Literatur:
1 Reitmeier S et al. Cell Host Microbe. 2020; 28(2): 258-272.e6.
2 Metwaly A et al. Nat Commun. 2020; 11(1): 4322.
3 Khaloian S et al. Gut. 2020; 0: 1-13.