Newsletter Hamburger Expertenkreis – Ausgabe 4-2021
Systembiologie:
Wie das Mikrobiom das Altern beeinflusst
Das Mikrobiom kann Alterungsprozesse beschleunigen, bietet aber auch Optionen, sie zu bremsen. Die Mechanismen erforscht Prof. Dr. rer. nat. Christoph Kaleta, Universität Kiel.
Mikrobiom und Mensch leben in enger Symbiose: Der Mensch bietet der Mikrobiota Lebensraum, im Gegenzug unterstützt die Mikrobiota die Verdauung, trainiert das Immunsystem und hält pathogene Erreger in Schach. All das trägt dazu bei, dass der Mensch gesund bleibt. Im Alter ändert sich das: Die Zusammensetzung der Mikrobiota verschiebt sich; der Anteil potenziell pathogener Spezies steigt, nützliche Spezies werden weniger. Parallel kommt es zum Inflammaging, einem subklinischen, chronischen Entzündungsgeschehen.
Das Mikrobiom wird egoistischer
Über welche Signalwege das Mikrobiom Alterungsprozesse antreibt und zur Entstehung von Alterskrankheiten beiträgt, untersucht die Arbeitsgruppe „Medizinische Systembiologie“ an der Universität Kiel. Die Forschenden rekonstruieren mittels Datenanalysen, Modellierungen und Laborexperimenten metabolische Interaktionen der bakteriellen Netzwerke untereinander und mit dem Wirt und untersuchen, welchen Einfluss Ernährung und Medikamente darauf haben. Bislang stellte sich heraus, dass sich das Mikrobiom im Alter vom Wirt löst. Es interagiert weniger und wird egoistischer, z. B. verwerten die Bakterien Eisen oder Folat vermehrt für sich selbst. Gleichzeitig produzieren sie weniger Metabolite, die dem Wirt nützen, etwa antiinflammatorisch wirksame kurzkettige Fettsäuren. Die Mikrobiota kann sogar die Produktion schädlicher Metabolite steigern, etwa von Trimethylamin, einem Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen.
Anti-Aging mit Metformin?
Das Mikrobiom bietet aber auch Ansatzpunkte, um Altern zu verlangsamen; das zeigt eine Studie anhand der Metformin-Therapie.1 Metformin ist die erste Wahl zur Therapie von Typ-2-Diabetes und eine der wenigen Substanzen, die die Lebensspanne verlängern, bei Tieren und möglicherweise auch beim Menschen.2 Um den Einfluss des Zusammenspiels von Ernährung, Metformin und Mikrobiom auf den Wirt zu erforschen, besiedelten die Forschenden den Fadenwurm Caenorhabditiselegans mit dem Darmbakterium Escherichia coli (E. coli) und verabreichten ihm mehr als 300 verschiedene Nahrungsmetabolite. Es zeigte sich, dass E. coli auf Metformin und Nahrungsbestandteile reagieren und seinen Stoffwechsel anpassen kann. Konkret veränderte Metformin die Regulation des bakteriellen Arginin-Stoffwechsels, was zur Bildung des Metaboliten Agmatin führte – und der erwies sich als Schlüsselsubstanz für die lebensverlängernde Wirkung. Wurde die Produktion von Agmatin durch E. coli blockiert, hatte Metformin keinen lebensverlängernden Effekt mehr auf den Wirt, was die zentrale Rolle des Mikrobioms im Wirkmechanismus von Metformin bestätigte. In einer Kohorte mit Typ-2-Diabetikern bestätigten sich die Ergebnisse des Modellexperiments: Die Einnahme von Metformin ging mit einer erhöhten Agmatin-Produktion der Darmbakterien einher, im Vergleich zu Patienten ohne Metformintherapie und gesunden Kontrollen. Die wichtigsten Agmatin-Produzenten waren auch beim Menschen E. coli: Ihr Anteil im Mikrobiom stieg unter der Metformintherapie.1
Fazit für die Praxis
Die Erkenntnisse der Systembiologie geben tiefe Einblicke in die Mechanismen, wie das Mikrobiom Alterungsprozesse moduliert. Die dabei eingesetzten Modelle sind ein Eckpfeiler für die Entwicklung künftiger mikrobiombasierter Therapien, die gezielt mikrobiomabhängige Krankheitsprozesse im Wirt beeinflussen.
Prof. Dr. rer. nat. Christoph Kaleta
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Literatur:
1 Pryor R et al. Cell. 2019; 178(6): 1299–1312.
2 Bannister CA et al. Diabetes Obes Metab. 2014; 16(11): 1165-73.